«Nun sag’, wie hast du’s mit der Denkmalpflege?» – Interview mit Paul Koller, Präsident der DAH-Sektion Säntis
03. Dezember 2021
Die Jahrestagung des Arbeitskreises Theorie und Lehre der Denkmalpflege an der ETH Zürich widmete sich Anfang Oktober 2021 dem Selbstverständnis und dem Image der Denkmalpflege. Parallel dazu gestaltete NIKE, die Nationale Informationsstelle zum Kulturerbe, ihr Heft 3/2021 unter dem Thema «Denkmalpflege – uncool und ungeliebt?». Dies veranlasst die Redaktion des Newsletters von DAH zur Frage, wie denn unsere Vereinigung der Eigentümer historischer Wohnbauten ihre Beziehungen zur Denkmalpflege – der Disziplin und den Behörden – sieht.
Die Älteren unter uns mögen sich erinnern, dass die 1984 gegründete DAH in ihrer Anfangszeit eine gewisse, selbstbewusste Distanz zur Denkmalpflege (und anderer staatlicher Instanzen) markierte. In der Zwischenzeit hat sich das Verhältnis unserer Vereinigung mit der Denkmalpflege, respektive mit den Denkmalpflegern und den Denkmalpflegerinnen, etwas gelockert. Dies zeigt sich beispielsweise darin, dass wir aus Denkmalpflegekreisen ordentliche Mitglieder und Gönnermitglieder haben, oder etwa im Umstand, dass Christian Stoffel, Bauberater bei der Kantonalen Denkmalpflege Graubünden, Mitglied unseres Zentralvorstandes ist. Und die ehemalige Mitarbeiterin von DAH Genf, Babina Chaillot Calame, ist heute die Denkmalpflegerin dieses Kantons.
Wie erlebt der Präsident einer grossen, vielfältigen Sektion von Domus Antiqua Helvetica den Austausch mit den Denkmalpflegeämtern? Wie sind seine entsprechenden Erfahrungen? Solche Fragen stellt Webredaktor Benno Schubiger im nachfolgenden Interview Paul Koller, dem Präsidenten unserer Sektion Säntis.
BS: Paul, als Präsident der Sektion Säntis, die mit Appenzell Innerrhoden, Appenzell Ausserrhoden, St. Gallen und Thurgau nicht weniger als vier Kantone umfasst, stehst Du einer geografisch ausgedehnten und vom Bestand her heterogenen Sektion vor. Erleben Deine Mitglieder die Denkmalpflegebehörden ihrer jeweiligen Kantone unterschiedlich?
PK: In unseren vier Kantonen nimmt die Denkmalpflege eine sehr unterschiedliche Stellung ein, welche mit unterschiedlichen Strukturen, und zu einem grossen Teil auch politisch begründet ist. Das grosse Denkmalpflegeamt im Thurgau und die kleinere Fachstelle in St. Gallen können auf eine langjährige Erfahrung zurückblicken. Ein grosser Erfahrungsfundus und viele gesammelte Informationen über die unter Schutz stehenden Gebäude stehen zur Verfügung. Ressourcen sind vorhanden, mit welchen eine gute Öffentlichkeitsarbeit betrieben werden kann. Das bringt den baukulturellen Schatz eines Kantons zur Geltung und hilft dem Image der Denkmalpflege. Die kleinen Kantone wie z.B. Appenzell Innerrhoden sind da bescheidener aufgestellt. Hier erhält die Denkmalpflege weniger Akzeptanz und Unterstützung.
Für unsere Mitglieder entstehen somit sehr unterschiedliche Voraussetzungen im Umgang mit der Denkmalpflege. Aber im Endeffekt ist es wie überall: Eine vertrauensvolle Zusammenarbeit steht und fällt mit den Personen, mit denen man zu tun hat.
BS: Als Eigentümer von historischen Wohnhäusern im Kanton St. Gallen hast auch Du selbst mit der Denkmalpflege zu tun. Bist Du bereit, Deine eigenen Erfahrungen oder Beobachtungen mit uns zu teilen?
PK: Das mache ich gerne, denn es ist für mich eine Erfolgsgeschichte. Dies im Bewusstsein, dass nicht alle das gleiche Glück haben und es auch ganz anders laufen kann. Es gibt genügend Fälle, in denen Bauherrschaft und Bauberatung keinen Konsens finden und eine zielführende Diskussion nicht möglich ist.
Ich besitze in Wattwil SG ein über 400 Jahre altes Haus, welches im Moment eine Totalsanierung über sich ergehen lassen muss. Natürlich gibt es verschiedene Möglichkeiten, wie man an ein solches Projekt herangeht. Wichtig ist, dass die historische Substanz erhalten wird und ein in sich stimmiges Gesamtbild erzielt wird. Und das verlangt natürlich Offenheit und Flexibilität von Hausbesitzer und Denkmalpflege. Ich habe die Denkmalpflege von Anfang an über mein Vorhaben informiert und über Diskussionen und Besichtigungen einen konstruktiven Weg gefunden, der zu einer für beide Seiten glücklichen Lösung geführt hat, oder noch führen wird.
BS: In Gründungstexten von DAH im Jahr 1984 (nachzulesen in den Bulletins aus unseren Anfangsjahren) wird die Einengung des Freiraums der privaten Grundeigentümer generell beklagt: durch Steuern, Bauvorschriften, durch die Raumplanung und auch die Denkmalpflege. Heute bringen die Energiewende und die räumliche Verdichtung die grossen Herausforderungen für unsere Mitglieder. Und es macht dabei fast den Anschein, als ob Domus Antiqua (der Denkmalpflege gegenüber aufgeschlossener als früher?) und die Denkmalpflegeämter (weil zunehmend in Frage gestellt?) immer häufiger am selben Strick ziehen. Sind aus den früheren Antipoden nun Partner geworden?
PK: Der Druck auf Baudenkmäler ist tatsächlich gross geworden. Mancher Eigentümer eines historischen Gebäudes muss sich schon bald dafür rechtfertigen, dass er ein grösseres Haus bewohnt als andere. Energieeffizienz wird heute grossgeschrieben, und die Metapher des ökologischen Fussabdrucks kann zur Belastung werden. Mit Hilfe der zuständigen Denkmalpflege können aber oftmals gangbare Lösungen gefunden werden, zumal bei unverhältnismässigen Energie- und Brandschutznormen Eigentümer und Denkmalpflege meist dieselben Ziele verfolgen. Ausserdem sind sich die meisten Denkmalpfleger/innen bewusst, dass ohne eine investierende Bauherrschaft langfristig kein Haus zu erhalten ist.
Es kommt dazu, dass die Denkmalpflege in verschiedenen Kantonen selber immer mehr unter Druck gerät. So soll z.B. im Kanton St. Gallen gemäss dem in Arbeit befindlichen Baugesetz die Denkmalpflege zum Rekursinstrument mutiert werden, und sämtliche Befugnisse und Entscheidungsmacht sollen neu bei den Gemeinden angesiedelt werden.
Bestimmt haben sich Domus Antiqua und die Denkmalpflege in vielerlei Hinsicht angenähert, was ich als positive Entwicklung ansehe. Als Beleg dafür mag auch unsere Sektion Säntis dienen: In unserem Vorstand sind mit Fabienne Sutter Sogo und Moritz Flury-Rova gleich zwei Mitarbeiter von Denkmalpflegen vertreten, nämlich jenen in St. Gallen resp. in Appenzell Innerrhoden.
BS: Es liegt auf der Hand, dass die Interessenslage von Denkmalpflegern und Denkmaleignern nicht immer identisch sein können. Hast Du für unsere Leserschaft Ratschläge für einen konstruktiven Umgang mit den Denkmalpflegerinnen und Denkmalpflegern?
PK: Ich denke, eine zielführende Zusammenarbeit beginnt mit dem gegenseitigen Respekt für des andern Aufgabe. Hauseigentümer dürfen die Denkmalpflege nicht als Einmischung in private Angelegenheiten empfinden, im Gegenzug sollte die Denkmalpflege anerkennen, was Bauherrschaften für ihr Kulturgut leisten, indem sie es in Stand halten und mit Leben erfüllen. Bei einem Umbau sollte die Denkmalpflege möglichst frühzeitig involviert sein, damit aufgezeigt werden kann, was für den Erhalt des Gebäudes getan wird. So ist man eher offen für allfällige Varianten, und dem Lösungsprozess wird mehr Zeit eingeräumt, unangenehme Überraschungen werden eher vermieden, und ein Umbau/Renovation kann zur Erfolgsgeschichte werden - gemeinsam mit der Denkmalpflege.
Paul Koller ist seit 2013 Präsident der Sektion Säntis von Domus Antiqua Helvetica. Er ist eidg. dipl. Förster und Inhaber eines Forstbüros mit 17 Angestellten. Daneben arbeitet er beim Schweizerischen Landesforstinventar an der Eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft der ETH.
Nebst seinem Engagement bei Domus Antiqua spielt Paul Koller gerne Violine und präsidiert das Toggenburger Sinfonieorchester. Seine Ferien verbringt er am liebsten mit seinem Sohn und seiner Tochter in den Bergen oder beim Tauchen.