Im Interview mit dem Bauernhausforscher Benno Furrer
16. April 2021

Domus Antiqua Helvetica hat an die 150 Mitglieder, die Eigentümer eines Bauernhauses oder einer maison rurale sind. Aus aktuellem Anlass – dem Abschluss des traditionsreichen Projekts «Schweizerische Bauernhausforschung» - möchten wir einmal unseren Fokus auf diese Baugattung resp. auf diese Mitgliederkategorie werfen. Im Gespräch mit dem langjährigen Leiter dieses Forschungsprojekts, Benno Furrer, werfen wir auch einen Blick voraus auf die Abschlusstagung im Freilichtmuseum Ballenberg am 18. und 19. September 2021. Das Interview führte Benno Schubiger, Webredaktor und Kommunikationsverantwortlicher von DAH.
BS: Herr Furrer, bitte schildern Sie uns in drei bis vier Sätzen den Charakter und die Ziele des Ende 2019 abgeschlossenen Projekts «Schweizerische Bauernhausforschung».
BF: Das Ziel wurde schon 1948 in der «Wegleitung für die Aufnahmen der bäuerlichen Hausformen und Siedlungen in der Schweiz» formuliert: Es geht um die - ich zitiere - «Erstellung eines umfassenden, lückenlosen und abschliessenden Werkes über das schweizerische Bauernhaus», etwa in der Art der Publikationen über das Bürgerhaus oder der Kunstdenkmäler der Schweiz. In Text und Bild sollen die ländlichen Bauten aller Höhen- und Nutzungsstufen dokumentiert, analysiert, durch Archivrecherchen ergänzt und in kantonsbezogenen Bänden publiziert werden. Die zu Beginn auf 36 Bücher festgelegte, von der Schweizerischen Gesellschaft für Volkskunde herausgegebenen Reihe, konnte 2019 mit dem Band Solothurn und insgesamt 39 Publikationen abgeschlossen werden. Inhaltlich verlagerte sich die Forschung von der anfänglich volkskundlich-ethnographisch begründeten und auf Bautypen fokussierten zu einer vermehrt bauforscherisch-denkmalpflegerischen Betrachtungsweise.
BS: Die «Schweizerische Bauernhausforschung» war ein Inventar- und Publikationsprojekt, das den Hauptfokus auf die Erfassung und des einzelnen Bauernhauses legte und dabei auch Befunde über regionale Zusammenhänge einordnete. Sind Sie in der Lage, auch einige Erkenntnisse zu vermitteln, welche das Gesamtprojekt und die ganze Schweiz betreffen?
BF: Dazu gehören Erkenntnisse zur Entwicklung des Hausbaus in der Schweiz von mehrheitlich Holz- zu Steinbauten. Bemerkenswert dabei die Häufung erhalten gebliebener, spätmittelalterlicher Blockbauten in der Zentralschweiz, von denen mittlerweile über 50 dendrochronologisch nachgewiesen aus der Zeit zwischen 1176 bis 1500 stammen. Allgemein gilt, dass Dekorelemente an vor 1500 erbauten Häusern praktisch nicht vorkommen. Eine eigentliche Fassadengestaltung bildet sich erst danach aus, erreicht im 17. und 18. Jahrhundert ihren Höhepunkt und wird nach 1800 schlagartig einfacher. Die Verwendung von Farbe am oder im Haus ist bemerkenswert: In einzelnen Regionen, etwa dem Berner Oberland, werden im 17. und 18. Jh. die Holzfassaden reichhaltig mit geschnitzten Ornamenten, Inschriften und Wappen gestaltet. Die Innenräume bleiben dagegen sehr schlicht.
In der Zentralschweiz hingegen sind die Hausfassaden im selben Zeitraum und bei vergleichbarem wirtschaftlichem Umfeld lediglich mit geschnitzten Friesen gestaltet, dafür können die Innenräume üppig mit Malerei dekoriert sein. Hat das mit der jeweils anderen konfessionellen Ausrichtung zu tun? Und wie passen da die farbenfreudig gestalteten Fassaden von Wohnhaus und Stall im katholischen Appenzell Innerrhoden dazu, die dort quasi «ex nihilo» im frühen 19. Jahrhundert auftauchen? Im westlichen Mittelland und Jura bleiben die Steinfassaden der Häuser schlicht und das Dekor konzentriert sich auf Architekturelemente wie Eckquader, profilierte Tür- und Fenstergewände oder das Wappenschild am Türsturz oder Rundbogenportal der Scheune.
Ganz anders gestaltete sich die Herausbildung der Engadiner Hauslandschaft mit den im Dorf konzentrierten Vielzweckbauten, die sich insbesondere nach den Verheerungen im Dreissigjährigen Krieg durch Handwerker aus dem Raume Como gebildet, bzw. den Restbestand überformt hatte. Herausragend sind die kluge Wärmedämmung durch einen mit Mauerwerk ummantelten Kern in Blockbauweise, die flexible Nutzung des Volumens und die kreative Gestaltung der Hausfassaden.
Interessant sind auch die vergleichbaren Bau- und Nutzungsarten innerhalb von Alpen und Voralpen zwischen Bodensee und Genfersee, etwa die Stufenwirtschaft, die traufbetonten Vielzweckbauten, sog. «Heidenhäuser» in den Voralpen, der Innovationstransfer zwischen Hochalpen und Jura in der Käserei sowie die vergleichbare standardisierte Entwicklung land- und alpwirtschaftlicher Bauten durch Unterstützung von Bund und Kantonen nach 1870, nach Gewässermeliorationen und mit Einsetzen der Mechanisierung ab 1945 und mit dem Bau des Autobahnnetzes.
Unterschiede in der Ausstattung von Wohnräumen blieben schweizweit bis etwa 1950 bestehen. Danach kann eine zunehmende «Banalisierung» durch Warenhausmöbel beobachtet werden.
BS: Unser Land ist nicht nur landschaftstopographisch vielfältig. Mit unseren vier Landessprachen ist die Schweiz auch sprachlich, mentalitätsmässig und kulturell sehr vielfältig. Schlägt sich dies auch in der Bauernhausarchitektur nieder und sind die Sprachgrenzen dabei prägend?
BF: Durchaus, einerseits schon zur Zeit der alten Eidgenossenschaft durch die Einflussnahme von Städten oder dominanten Kantonen in den jeweiligen Untertanengebieten (Beispiel Blockbauten in der Vogtei Leventina, gefördert durch Uri oder die Gestaltung von Giebelfassaden mit «bernischer Ründi" in der besetzten Waadt oder im Jura).
Die Sprache bildete auf der Ebene des agrarischen Handels mit Vieh oder Wein keine Barriere. Man verständigte sich. Erstaunlich bleibt allerdings, dass ein architektonischer Kulturtransfer entlang von Nord-Süd oder West-Ost-Handelsrouten bei Bauernhäusern kaum zu beobachten ist. Die Zimmerleute blieben relativ konservativ bei ihrem regionalen Baustil, obschon sich etwa im Berner Oberland eigentliche Handwerkerdynastien herausgebildet hatten, vergleichbar heutigen Generalunternehmern. Austausch und Inspiration ist vermehrt bei Malern und einigen (Kunst)handwerkern zu erkennen, etwa bei Stuckateuren, Möbelschreinern und Hafnern, die in gehobenen Haushalten Ausstattungen neuester Mode akkurat liefern und einbauen konnten. Nicht selten finden sich qualifizierte, nicht einheimische Handwerker, die mit einer öffentlichen Bauaufgabe betraut waren – etwa dem Bau einer Kirche oder eines Rathauses – auch im privaten Hausbau wieder. Inhaber politischer Ämter verfügten über die nötigen Beziehungen und finanziellen Mittel, diese Chance zu nutzen.
In der Westschweiz setzen sich nach 1800/15 französische Architekturelemente durch, etwa das Mansarddach oder klassizistische Steinfassaden. Im Interieur kommen Tapeten und Treppenhäuser hinzu. Im Urserntal benennen Bauern ein Sparrendach mit Stutzwalm oder «Krüppelwalm» als «franzeesischäs Tach» (französisches Dach). Hinzu kommen die verschiedenen Sonderkulturen wie Rebbau oder Kastanienkulturen mit spezialisierten Ökonomiebauten.
BS: Unsere Mitglieder, Eigentümer von historischen Wohnbauten, sehen sich regelmässig denkmalpflegerischen Herausforderungen gegenüber, seit einiger Zeit zunehmend auch Ansprüchen im Zusammenhang mit der Energiewende gegenüber. Ich stelle mir vor, dass diese Themen bei Bauernhäusern – häufig aus Holz gebaut – ganz besonders sind. Wie sind Ihre Beobachtungen. Welche Ratschläge haben Sie bereit?
BF: Schwieriges Thema, weil ich weder Architekt noch Elektroingenieur bin. Grundsätzlich bietet aber der Holzbau, insbesondere die älteren Blockbauten mit 12 bis 15 cm dicken Kanthölzern einen sehr guten Isolationswert. Problematisch sind dort Zugluftspalten, die zwischen senkrechten Tür-/Fensterpfosten und waagrechten Wandhölzern entstehenden. Fachwerk- und Ständerbohlenbauten weisen demgegenüber weniger gute Eigenschaften der Dämmung auf. Da gibt es aber inzwischen gute, konstruktionsspezifische Lösungen, die am besten fallweise zu diskutieren sind.
Augenfälliger sind Photovoltaik- oder Solarthermieanlagen auf Dächern. In der Landwirtschaft können solche Anlage in der Regel problemlos auf grossen Scheunendächern aufgesetzt werden, handelt es sich doch in der Regel um jüngere Nutzbauten mit wenig gestalterischem Anspruch.
BS: Den definitiven Abschluss des Projekts «Schweizerische Bauernhausforschung» bildet eine Tagung der Regionalgruppe Alpen des Arbeitskreises für Hausforschung im Freilichtmuseum Ballenberg am 18. und 19. September 2021. Diese Veranstaltung steht ja auch für Mitglieder von Domus Antiqua Helvetica offen. Was dürfen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer erwarten?
In drei Referaten werden Geschichte und Verlauf von Projekten zur Bauernhausforschung in der Schweiz, Bayern und Südtirol vorgestellt und anschliessend in einem Podiumsgespräch die konkreten Nutzanwendungen im Bereich von Freilichtmuseen und Denkmalpflege sowie weiterführender Forschung diskutiert. Dabei sollen durchaus auch die erreichten bzw. nicht erreichten Ziele kritisch diskutiert werden.
Für das Freilichtmuseum ergibt sich die Chance, translozierte, aus dem lokalen Kulturzusammenhang gerissene Bauten besser in den ursprünglichen Kontext zu stellen. Dazu helfen die Dokumentationen von Bauernhausforschung und Bauforschung, von denen sich ein nun ein Teil im Archiv des Freilichtmuseums befinden. Die Tagung samt Exkursion bildet auch Anlass, den erfolgreichen Abschluss des Projekts Bauernhausforschung mit einem Apéro zu feiern.
Benno Furrer, 1953 in Altdorf geboren, studierte an der Universität Zürich Geographie. Für die Reihe «Bauernhäuser der Schweiz» bearbeitete er dann die Bände Schwyz, Uri und Zug. Von 1989 bis zum Abschluss des Gesamtprojekts 2019 war er Wissenschaftlicher Leiter der Schweizerischen Bauernhausforschung mit Archiv in Zug. Furrer engagierte sich während langen Jahren im Arbeitskreis Hausforschung. Er war als Experte, als Kommissionsmitglied und als Praktiker auf kommunaler, kantonaler und eidgenössischer Ebene auch in den Bereichen Denkmalpflege und Heimatschutz tätig. Seit 2020 ist er als freischaffender Berater tätig. E-Mail: furrer-Hausforschung_at_quickline.ch.
Hinweise:
Programm der Tagung zum Abschluss des Projekts "Schweizerische Bauernhausforschung" am 18./19. September 2021 auf dem Ballenberg. Anmeldung möglich nach der offiziellen Ausschreibung im Mai/Juni über die Website www.ballenberg.ch.
Abschlussbericht zum Projekt "Schweizerische Bauernhausforschung von Benno Furrer.
Website des Projekts www.bauernhausforschung.ch.