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"Isos ist keine Käseglocke"

11. Januar 2017

Im vergangenen Jahr nahmen Zürcher Politiker das nationale Inventar schützenswerter Ortsbilder (Isos) erst richtig wahr. Der Grund lag in der Aufnahme von Zürich. Demnach erfasst das Inventar nämlich rund drei Viertel des städtischen Siedlungsgebiets, auch die ETH Hönggerberg. Das warf die Frage auf, ob die Entwicklung der Hochschule und generell die bauliche Verdichtung behindert wird.

NZZ vom 11. Januar 2017

Von Stefan Hotz

Rüti verliert in Lausanne

Vor Jahren hatte ein Rechtsfall in Rüti die Bedeutung des Isos aufgezeigt. Im April 2009 hob das Bundesgericht die Bewilligung und den vorangegangenen Beschluss der Gemeindeversammlung für eine Überbauung in der Rütner Kernzone auf. Streitpunkt war ein siebenstöckiges Hochhaus. Die Richter rügten, das Isos sei in der Interessenabwägung nicht berücksichtigt worden. Weder die kantonale Natur- und Heimatschutzkommission noch das Zürcher Verwaltungsgericht hatten das zuvor beanstandet.

Grund für den Schweizer Heimatschutz (SHS) und die Vereinigung für Landesplanung (VLP), die Medien an den «Tatort» einzuladen. Ursprünglich hat der Bund seine Schutzinventare – neben dem Isos gibt es solche für Landschaften von nationaler Bedeutung (BLN) und historische Verkehrswege – für sich selbst angelegt. Nicht nur in Rüti war man der irrigen Meinung, dann seien sie auch nur für Bundesaufgaben, etwa den Bau von Bahnstrecken, Nationalstrassen oder Hochspannungsleitungen, von Bedeutung.

Seit dem Fall Rüti gilt grundsätzlich, dass auch bei kommunalen Um- und Aufzonungen das Isos zu beachten ist. VLP-Direktor Lukas Bühlmann sagte, sechs Jahre später habe das Bundesgericht eine Beschwerde gegen ein Entwicklungsprojekt im Schaffhauser Villenquartier Steig abgelehnt. Der Grund hier: Die Behörden hatten verschiedene Varianten geprüft und sich für die beste entschieden. Bei der Anwendung des Isos bleibe also ein Ermessensspielraum, erklärte Bühlmann: «Das Inventar ist keine Käseglocke.» Vielmehr biete es eine Hilfe, um die beste Lösung zu finden.

In Rüti jedenfalls wurde nur das Hochhaus verhindert. Das Grundstück neben einer historischen Fabrik an der Jona ist heute nahezu so dicht überbaut wie ursprünglich geplant, die Arbeiten stehen kurz vor Abschluss. An der Stelle, wo einst ein Parkplatz vorgesehen war, blieb ein kleines, altes Häuschen stehen, das nun renoviert ist. Die Parkplätze sind im Untergrund.

Der Architekt und Investor Beat Ernst, der 20 Jahre lang dem Rütner Gemeinderat angehörte, zeigte sich als guter Verlierer. «Ich bin gescheiter geworden», sagte er, rückblickend sei er froh um das Urteil des Bundesgerichts. Bauen bedeute, etwas an das soziale Leben beizutragen. Dazu gehöre der sorgfältige Umgang mit dem Ortsbild. Ernst betonte wie Bühlmann, man müsse sich der öffentlichen Diskussion stellen. Dann werde das Ergebnis in der Bevölkerung akzeptiert. SHS-Geschäftsleiter Adrian Schmid erklärte, nur «Filetstücke» im Isos seien in ihrer Substanz umfassend geschützt. Auflagen, die Struktur oder den Charakter eines Ortsbildes zu erhalten, liessen eine bauliche Entwicklung zu.

Isos zeitig einbauen

Die Fachverbände empfehlen den Gemeinden, bereits im Richtplan oder in der Zonenordnung das Isos zu beachten, nur schon um Rechtsverfahren zu vermeiden. Die Verbände machen gezielt von ihrem Beschwerderecht Gebrauch, die weitaus meisten Verfahren, wie einst im Fall Rüti, strengen Anwohner an. Umso mehr haben Heimatschutz und VLP mit dem dritten Partner, dem Bundesamt für Kultur, Interesse daran, den Gehalt des Isos bekannt zu machen.